Niko mit seinen Eltern Axel Schröder und Dijana Nadinic im Heilpädagogischen Kindergarten St. Michael GeldernCaritasverband Geldern-Kevelaer e.V.
GELDERN Niko ist vier Jahre alt und spricht noch nicht. Seine motorischen Fähigkeiten sind eingeschränkt und er kann bislang nicht eigenständig laufen. Pallister-Killian-Syndrom nennt sich seine seltene Erkrankung. Seit August des letzten Jahres besucht der Junge die Heilpädagogische Kindertagesstätte St. Michael in Geldern - und das gerne. "Niko blüht hier regelrecht auf und wird von den anderen Kindern so angenommen, wie er ist", freut sich Vater Axel Schröder. Gemeinsam unternimmt das Elternpaar alles, um Niko bestmöglich zu fördern. Die bewusste Wahl einer heilpädagogischen Einrichtung zählte dazu. Umso mehr ärgert sie, dass das die Zukunft des gut funktionierenden Systems aus Heilpädagoginnen, Erzieherinnen, Heilerziehungspflegerinnen, Logopädinnen, Physiotherapeuten und Motopäden mit einem großenFragezeichen versehen ist. "Angedacht ist es, dass bis Mitte 2026 alle heilpädagogischen Kindertagesstätten in inklusive Einrichtungen umgewandelt werden", berichtet Dagmar Speemanns, Leiterin der Einrichtung des Caritasverbands Geldern-Kevelaer. Damit fallen wichtige heilpädagogische Plätze weg. Während aktuell die notwendigen Therapien in der Einrichtung vor Ort individuell integriert sind, müssten diese künftig noch nach dem Kindergartentag erfolgen. "Spiel und Therapie gehen hier wunderbar Hand in Hand und sind flexibel handhabbar. Dagegen wird das neue System die Kinder überfordern, wenn nach einem langen Kindergartentag noch Therapien anstehen - und das unabhängig davon in welcher Tagesform das Kind sich befindet", befürchtet Dijana Nadinic, die Mutter von Niko. Es sind zudem die Kleinstgruppen mit bis zu acht Kindern, die eine besondere Förderung der Kinder in heilpädagogischen Einrichtungen sicherstellen. "In einem Regelkindergarten ist das nicht möglich, die Kinder mit großen Beeinträchtigungen bleiben auf der Strecke", findet das Elternpaar Schröder/Nadinic. Dagmar Speemanns teilt diese Ansicht: "Unsere heilpädagogische Einrichtungen können handfeste Erfolge vorweisen: Viele Kinder können auch in Regelgrundschulen entlassen werden - weil sie frühzeitig eine intensive Förderung in einer heilpädagogischen Kindertagesstätte erfahren haben." So wie Theo Schoelen, bei dem im Kleinkindalter eine verbale Entwicklungsdyspraxie diagnostiziert wurde. Der 8-Jährige kommt jetzt ins 2. Schuljahr der Martini-Grundschule in Veert - also eine Regelschule. Ein Jahr verbrachte er zudem im Förderzentrum der Gelderland-Schule, um einen sanften Übergang in das Schulleben zu erhalten. Vorher besuchte er den Sprachheilkindergarten in Pont, wo der Sprachentwicklungsstörung wirksam begegnet wurde. "Solche Einrichtungen sind wahre Glücksfälle. Theo wäre ohne die besondere Förderung nicht da, wo er heute steht", sind seine Eltern Ina und Arndt Schoelen überzeugt. Theo hat durch die Förderung im Kindergarten seine Schüchternheit abgelegt und sei ein richtig selbstbewusster "Haudegen" geworden. "Und er hat natürlich sprachlich enorme Fortschritte gemacht, so dass sein Handicap kaum noch auffällt. In der Schule wurde er sogar zum Klassensprecher gewählt", berichten die Schoelens.
Cäcilia Horlemann, Leiterin des Sprachheilkindergartens: "Heilpädagogische Einrichtungen können die Potenziale der Kinder gezielt freisetzen. Eine auf die individuellen Möglichkeiten ausgerichtete Betreuung ist entscheidend für die Entwicklung der Kinder." Doch diese sei nunmehr gefährdet. Die vom LVR geplante Umstrukturierung wird mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes begründet. Für Eltern und die betroffenen Kinder könnte es dadurch künftig schwieriger werden, Leistungsansprüche und die damit notwendige Förderung in einem unübersichtlichen Kostenträgersystem geltend zu machen. Schröder: "Auf dem Rücken der Kleinsten und Schwächsten wird betriebswirtschaftliche Optimierung ausgetragen. Das steht auch im Widerspruch zum Leitbild des LVR, nach dem behinderte Menschen ‚genau das Maß an Unterstützung erhalten sollen, das sie brauchen und wünschen‘." Doch genau dieses Maß rückt demnächst vermutlich in weite Ferne.